FREYSCHMIDT - FRINGS - PANANIS - VENN
FREYSCHMIDT - FRINGS - PANANIS - VENN - Verteidiger in Strafsachen

Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Zustimmung der Verfahrensbeteiligten zu einem Verständigungsvorschlag

26.05.2021

Das BVerfG hat sich mit dem jüngst veröffentlichten Beschluss vom 29. April 2021 – 2 BvR 1543/20 – erneut zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an Absprachen im Strafverfahren geäußert.

Der Beschwerdeführer hatte mit seiner Verfassungsbeschwerde die Verletzung seines Rechts auf ein faires Verfahren gerügt. Vorschriften über die Verständigung im Strafprozess seien willkürlich angewendet worden. Nachdem der Kammervorsitzende im Hauptverfahren einen Vergleichsvorschlag unterbreitet habe, habe die Staatsanwaltschaft dem Vorschlag nicht ausdrücklich zugestimmt. Dennoch habe das Landgericht dem Urteil die Verständigung zugrunde gelegt.

1. Einführung

Die durch das Gesetz zur Regelung der Verständigung vom 29. Juli 2009 eingeführte Vorschrift des § 257c StPO unterliegt seit ihrer Geburt verfassungsrechtlichen Bedenken. Dennoch ist die Verständigung insbesondere in Wirtschaftsstrafsachen aus der Praxis derzeit nicht hinwegzudenken. Mit einem aktuellen Beschluss verhält sich das Bundesverfassungsgericht zum einen zur Frage, wie die Zustimmung der Staatsanwaltschaft zu dem unterbreiteten Verständigungsvorschlag beschaffen sein muss. Darüber hinaus betrifft der Beschluss Fragen der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde. Dass im Rahmen der Zulässigkeit eine besondere Sorgfalt an den Tag gelegt werden muss, macht der Beschluss insbesondere dadurch deutlich, dass die Verfassungsbeschwerden unzulässig waren und somit nicht zur Entscheidung angenommen worden sind. Im Einzelnen:

2. Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde

Zur Zulässigkeit verweist das BVerfG zunächst auf seine ständige Rechtsprechung, derzufolge im Zweifel auch vom Beschwerdeführer darzulegen ist, dass er die einmonatige Frist des § 93 Abs. 1 S. 1 BVerfGG eingehalten hat. In diesem Zusammenhang sei maßgeblich, wann die Entscheidung, gegen die sich der Beschwerdeführer mit der Verfassungsbeschwerde wendet, bekanntgegeben worden ist. Das BVerfG betont, dass in der Praxis gerichtliche Entscheidungen sowohl an den Verteidiger als auch den Beschuldigten bekanntgegeben werden. Maßgeblich für die Fristauslösung sei die erste Bekanntgabe. Daher könne substantiierter Vortrag erforderlich sein, um die Einhaltung der Frist nachzuweisen. Das Gericht verweist zudem auf seine ständige Rechtsprechung, wonach § 37 Abs. 2 StPO vorliegend keine Anwendung finde, da Anknüpfungspunkt für den Fristbeginn nicht die Zustellung, sondern die Bekanntgabe sei.

3. Verfassungsgemäßheit des § 257c StPO

Das BVerfG geht auf die Frage der Verfassungsmäßig- oder widrigkeit des § 257c StPO nicht näher ein, sondern stellt fest, dass Verständigungen, die unter Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben zustande gekommen seien, keinen verfassungsrechtlichen Bedenken unterlägen.

Trotz derzeitiger Vollzugsdefizite sei nicht von einer Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung auszugehen. Zugleich betont das Gericht aber die gesetzgeberische Pflicht zur Überwachung der weiteren Entwicklung nebst Pflicht zur Fehlerbehebung durch geeignete Maßnahmen.

4. Die Zustimmung der Staatsanwaltschaft

Nach § 257c Abs. 3 S. 4 StPO setzt eine wirksame Verständigung die Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten zum seitens des Gerichts unterbreiteten Verständigungsvorschlag voraus. Der Beschluss des BGH, mit dem dieser die Revision des Beschwerdeführers verworfen hatte, ist nach Einschätzung des BVerfG nicht mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben an das wirksame Zustandekommen einer Verständigung vereinbar.

Im zugrunde liegenden Fall gab die Staatsanwaltschaft keine solche ausdrückliche Erklärung ab. Als Zustimmungserklärung sei gedeutet worden, dass sich die Staatsanwaltschaft mit einer Verfahrensabtrennung einverstanden erklärt habe. Zudem sei letztlich auch durch die Staatsanwaltschaft eine Strafe beantragt worden, die sich im Rahmen des Verständigungsvorschlags bewegt habe.

Die materiellen an die Zustimmung zu stellenden Anforderungen beschreibt das Gericht wie folgt:

Erforderlich sei jeweils eine ausdrückliche Zustimmung. Das BVerfG verweist hierbei auf eine entsprechende Entscheidung des 5. Strafsenats des BGH (BGH, Beschl. v. 7. Dezember 2016 – 5 StR 39/16). Diese Pflicht ergebe sich daraus, dass die Zustimmungserklärungen nach § 257c Abs. 4 S. 3 StPO für die Verständigung konstituierend seien. Eine nur konkludente Zustimmung lasse sich mit den der Verständigung zugrunde liegenden Transparenz- und Dokumentationspflichten nicht in Einklang bringen. Das Gericht bezieht zu den einzelnen Aspekten Stellung, aus denen eine stillschweigende Zustimmung der Staatsanwaltschaft hergeleitet werden könnte, und erteilt diesen Versuchen eine klare Absage. Insbesondere könne in dem im Plädoyer der Staatsanwaltschaft gestellten Strafantrag keine konkludente Zustimmung zur Verfahrensabsprache erblickt werden, weil bereits vor dem Schlussvortrag Klarheit über das Vorliegen einer Verständigung herrschen müsse.

5. Das Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler

Schließlich äußert sich das BVerfG auch zur Beruhensfrage. Nach § 337 StPO kann die Revision nur zum Erfolg führen, wenn das Urteil auf dem jeweiligen Rechtsfehler auch beruht.

Auch insoweit verweist das BVerfG zunächst auf seine Rechtsprechung, indem es ausführt:

„Ein Verstoß gegen die Transparenz- und Dokumentationspflichten führt deshalb grundsätzlich zur Rechtswidrigkeit einer gleichwohl getroffenen Verständigung. Hält sich das Gericht an eine solche gesetzwidrige Verständigung, wird ein Beruhen des Urteils auf diesem Gesetzesverstoß regelmäßig schon deshalb nicht auszuschließen sein, weil die Verständigung, auf der das Urteil beruht, ihrerseits mit einem Gesetzesverstoß behaftet ist (vgl. BVerfGE 133, 168 <223 Rn. 97>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 4. Februar 2020 - 2 BvR 900/19 -, Rn. 37).“

(BVerfG Beschl. v. 29.4.2021 – 2 BvR 1543/20, BeckRS 2021, 11343 Rn. 18)

Ein fehlendes Beruhen könne nur in besonderen Ausnahmefällen anzunehmen sein, was vorliegend nicht der Fall sein, denn der Beschwerdeführer habe beim Ablegen des Geständnisses auf die Wirksamkeit der Verständigung vertraut.

Die Frage nach dem Beruhen dürfe zudem nicht lediglich mit Blick auf die Einwirkung auf das Aussageverhalten des Angeklagten beurteilt werden. Hierbei werde

„die Bedeutung des Zustimmungserfordernisses für die Kontrolle des Verständigungsgeschehens durch die Öffentlichkeit, die auch dem Schutz des Angeklagten und damit der Verfahrensfairness dient,“

(BVerfG Beschl. v. 29.4.2021 – 2 BvR 1543/20, BeckRS 2021, 11343 Rn. 18)

ausgeblendet.

6. Fazit

Die Entscheidung selbst enthält keine dogmatischen Sensationen oder wesentliche Neuigkeiten in Bezug auf die Verständigung oder die Anforderungen an die Erhebung einer zulässigen Verfassungsbeschwerde. Nichtsdestotrotz greift die Entscheidung leicht vermeidbare Fehlerquellen auf, die im schlimmsten Fall – wie hier geschehen – trotz materieller Erfolgsaussichten dazu führen können, dass eine entsprechende Entscheidung nicht ergeht, weil die Darlegungsanforderungen nicht eingehalten worden sind. Zugleich wiederholt das Gericht wichtige für das Haupt- und Revisionsverfahren zu beachtende Aspekte.

Ass. jur. Dr. Martin Linke