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Veröffentlichung des Regierungsentwurfs eines „Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“

16.06.2020

Das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) hat heute den Regierungsentwurf eines „Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ (Bearbeitungsstand 16. Juni 2020, 10:03 Uhr) veröffentlicht. Mit dem Gesetz soll ein Sanktionsrecht für Verbände („Unternehmensstrafrecht“) erschaffen werden, das die bestehenden Regelungen aus dem Ordnungswidrigkeitenrecht deutlich modifiziert und verschärft.

Anwaltschaft und Wirtschaftsverbände hatten zuletzt teils scharfe Kritik am Referentenentwurf des BMJV geäußert.

Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hatte sich bereits im August 2019 sehr kritisch zu einem vorab bekannt gewordenen Entwurf des geplanten Gesetzes geäußert (DAV Stellungnahme Nr. 7/2020). Im Kern hält der DAV in seiner aktuellen Stellungnahme (DAV Stellungnahme Nr. 39/2020) weiter an seiner Kritik fest, was nachvollziehbar ist, weil sich im aktuellen Entwurf im Vergleich zum Entwurf aus dem Jahr 2019 keine allzu wesentlichen Änderungen finden.

Es sei, so der DAV, schon nicht nachvollziehbar, was eine „Verbandssanktion“ – das Gesetz spricht ausdrücklich nicht von Strafen – überhaupt sein solle. Unter dem Mantel eines Verbandssanktionengesetztes würden zur Zurechnung entwickelte Grundsätze und das Schuldprinzip „über Bord geworfen“, so der DAV in seiner Stellungnahme. Begrüßt wird zwar, dass die vormals vorgesehene Regelung zur vollständigen Auflösung eines Unternehmens als „Sanktion“ nicht länger beibehalten werden solle. Dennoch sei der Gesetzentwurf ein nicht hinzunehmender „Paradigmenwechsel“: Mit der Möglichkeit für Unternehmen, drohende Sanktionen zu mildern, indem sie mit den Strafverfolgungsbehörden kooperieren (sog. Internal Investigations), treibe der Gesetzgeber auf „eine rechtsstaatlich problematische Privatisierung des Ermittlungsverfahrens zu“, so der DAV. Die Trennung von internen Untersuchungen und Verteidigung werfe Fragen auf. Rechtsstaatlich unerträglich sei aber die Auflösung des anwaltlichen Berufsgeheimnisses gegenüber Strafverfolgungsbehörden. Der Gesetzentwurf sieht tatsächlich vor, dass – generell und unabhängig von dem neuen Verbandssanktionenrecht – jegliche Aufzeichnungen und Korrespondenzen mit Mandanten beschlagnahmt werden können, es sei denn sie beziehen sich auf die Verteidigung von Beschuldigten. Dieses Ansinnen sei in Europa einzigartig und das BMJV erläutere nicht einmal die Notwendigkeit einer solchen Maßnahmen. Auch werde das Schuldprinzip aufgegeben, da Aufsichtspflichtverletzungen ohne Verschulden der handelnden Person eine Verbandssanktion zur Folge haben sollen – eine Haftungszurechnung also allein auf objektiver Ebene.

In einem gemeinsamen Brief an das BMJV hatten sich auch wichtige Verbände aus der Wirtschaft eindeutig gegen den Gesetzentwurf gestellt (Verbändebrief von Juni 2020 zum Verbandssanktionengesetz). Unter anderem die Deutsche Industrie und Handelskammer (DIHK), der Berufsverband der Compliance Manager (BCM), die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und der Bundesverband der Unternehmensjuristen (BUJ) fordern eine umfassende Überarbeitung des Gesetzentwurfs, weil er grundlegende Mängel aufweise, falsche Anreize setze und seinem Ziel, die Integrität in der Wirtschaft zu fördern, entgegenwirke.

Rechtsanwälte Nikolai Venn und Johannes Lamsfuß