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FREYSCHMIDT - FRINGS - PANANIS - VENN - Verteidiger in Strafsachen

Berliner Corona-Regelungen teilweise verfassungswidrig

28.05.2020

Der Berliner Verfassungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 20. Mai 2020 dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Verordnung über erforderliche Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 in Berlin (SARS-CoV-2-EindmaßnV) in der Fassung vom 19. Mai 2020 teilweise stattgegeben und die Bußgeldregelungen in § 24 der Verordnung teilweise außer Kraft gesetzt. Der Verweis auf die unbestimmten Rechtsbegriffe „physisch soziale Kontakte“, „absolut nötiges Minimum“ und „soweit die Umstände dies zulassen“ versetze die Bürgerinnen und Bürger nicht ausreichend in die Lage, zwischen erlaubtem und bußgeldbewehrtem Handeln zu unterscheiden. Gerade rechtstreue Bürgerinnen und Bürger könnten sich, so der Verfassunsgerichtshof, durch diese mangelnde Erkennbarkeit veranlasst sehen, sich in ihren Grundrechten noch weiter zu beschränken, als es erforderlich wäre, um keine Ordnungswidrigkeit zu begehen.

Die Frage der hinreichenden Bestimmtheit stellt sich im Ordnungswidrigkeit und Nebenstrafrecht regelmäßig dann, wenn die Bußgeldnorm – wie im Fall der SARS-CoV-2-EindmaßnV – auf Regelungen an anderer Stelle des Gesetzes oder sogar auf anderweitige Normen oder Verwaltungsakte verweist (sog. Blankettnormen). Mit Beschluss vom 21. September 2016 (2 BvL 1/15) hatte das Bundesverfassungsgericht die dynamische Verweisung in der Strafnorm Rindfleischetikettierungsgesetzes auf Rechtsakte der Europäischen Union für verfassungswidrig erklärt. Demgegenüber sind die Blankettstrafnormen des Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuchs nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2020 (2 BvL 5/17) hinreichend bestimmt. Maßgeblich ist stets, ob die Voraussetzungen der Straf- bzw. Ahndbarkeit so konkret umschrieben sind, dass Tragweite und Anwendungsbereich des Tatbestandes zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen.

Rechtsanwalt Nikolai Venn