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Verjährung im Steuerstrafrecht – kommt eine weitere „Lex Cum/ex“?

13.11.2020

Wie das Handelsblatt berichtet, plant die Bundesregierung eine weitere Änderung der Vorschriften über die Verfolgungsverjährung von Steuerstraftaten. Danach soll die Steuerhinterziehung in besonders schweren Fällen (§ 370 Abs. 3 AO) künftig erst nach 12 statt bislang 10 Jahren verjähren (§ 376 Abs. 1 AO). Dies betrifft insbesondere die regelmäßig bei einem Verkürzungsbetrag über 50.000,00 EUR anzunehmende Steuerverkürzung in großem Ausmaß (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO).

Hintergrund der offenbar noch für das kommende Jahr vorgesehenen Neuerung ist das Bestreben, insbesondere die Strafverfolgung und die Einziehung von Vermögenswerten in sog. „Cum/ex“-Fällen für einen längeren Zeitraum zu ermöglichen als dies bislang der Fall war. Unter welchen Voraussetzungen die mehrfache Erstattung von Kapitalertragsteuer in Fällen des Aktienerwerbs um den Dividendenstichtag den Tatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt, ist indes weiterhin nicht höchstrichterlich geklärt. Die vorerst einzige Verurteilung von Beteiligten an „Cum/ex“-Geschäften erfolgte am 18. März 2020 durch das LG Bonn (Az.: 62 KLs – 213 Js Js 41/19 – 1/19); die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Nach einer in weiten Teilen der Literatur vertretenen Auffassung, die sich u.a. auf Entscheidungen des BFH zum „Dividendenstripping“, die Gesetzesmaterialien zum Jahressteuergesetz 2007 und frühere Äußerungen der Ministerialbürokratie stützt, ist die doppelte Erstattung nur einmal gezahlter Kapitalertragsteuer in Fällen des Kaufs der Aktie vom Leerverkäufer vor dem Beschluss über die Gewinnverwendung („cum“ Dividende) und Lieferung nach dem Dividendenstichtag („ex“ Dividende) nach der bis 2012 geltenden Gesetzeslage keineswegs per se unzulässig gewesen.

Es wäre nicht die erste „Lex Cum/ex“ zur strafrechtlichen Verfolgungsverjährung: Erst zum 1. Juli 2020 war unter dem Eindruck der u.a. bei der Staatsanwaltschaft Köln anhängigen „Cum/ex“-Ermittlungen die absolute Verjährung der Steuerhinterziehung in besonders schweren Fällen in Abweichung der allgemeinen Regel in § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB vom Doppelten auf das Zweieinhalbfache der gesetzlichen Verjährungsfrist verlängert worden (§ 376 Abs. 3 AO). Mit der nunmehr geplanten Neuregelung würde Steuerhinterziehung in den in § 370 Abs. 3 AO genannten Regelbeispielen somit erst nach 30 Jahren absolut verjähren. Nach Eröffnung des Hauptverfahrens ruht die Verjährung überdies für einen Zeitraum von bis zu weiteren 5 Jahren, nachdem § 376 Abs. 1 2. Hs. AO in der ab dem 1. Juli 2020 gültigen Fassung die Vorschrift des § 78 Abs. 4 StGB für entsprechend anwendbar erklärt. Träte die geplante Neuregelung in Kraft, könnten somit 35 Jahre zwischen Tatbeendigung und erstinstanzlicher Verurteilung verstreichen, ohne dass Verfolgungsverjährung eintritt.

Eine 12-jährige Verjährungsfrist ist dem deutschen Strafrecht bislang fremd. § 78 Abs. 3 StGB sieht – in Abhängigkeit von der im jeweiligen Straftatbestand angedrohten Höchststrafe – Fristen von 3, 5, 10, 20 und 30 Jahren vor. Die Entscheidung für eine 12-jährige Frist dürfte damit zu erklären sein, dass sich der Gesetzgeber bei einer Heraufsetzung der Verjährungsfrist für Steuerhinterziehung im besonders schweren Fall auf 20 Jahre in einen deutlichen Wertungswiderspruch begeben würde, da diese lange Frist ansonsten Straftatbeständen vorbehalten ist, die im Höchstmaß mit einer Freiheitsstrafe von mehr als zehn Jahren bedroht sind.

Sollte die (relative) Verjährungsfrist auf 12 Jahre für Fälle des § 376 Abs. 3 AO angehoben werden, würde dies allerdings nicht die Strafverfolgung von Sachverhalten ermöglichen, die bereits verjährt sind. Denn eine nachträgliche Wiederbegründung der Verfolgbarkeit widerspräche dem Rückwirkungsverbot (Art. 103 Abs. 2 GG). Daran hat der Bundesgerichtshof erst jüngst in anderem Zusammenhang erinnert: Mit Vorlagebeschluss an das Bundesverfassungsgericht vom 7. März 2019 (Az: 3 StR 192/18) führt der 3. Strafsenat des BGH aus, die Regelung des Art. 316 h S. 1 EGStGB Art. sei mit den im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) und den in den Grundrechten verankerten Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes unvereinbar, soweit dadurch die selbstständige Einziehung von Vermögenswerten auch dann erlaubt sein soll, wenn vor dem Inkrafttreten der Neuregelungen über die Vermögensabschöpfung am 1. Juli 2017 Verfolgungsverjährung eingetreten war. Es gilt: Was verjährt ist, bleibt verjährt!

Rechtsanwalt Nikolai Venn