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FREYSCHMIDT - FRINGS - PANANIS - VENN - Verteidiger in Strafsachen

Europäische Staatsanwaltschaft nimmt am 1. Juni 2021 ihre Arbeit auf

01.06.2021

Am heutigen Tag hat die Europäische Staatsanwaltschaft (EUStA) unter Leitung von Laura Codruta Kövesi, der ersten Generalstaatsanwältin der EU, ihre Ermittlungsarbeit aufgenommen. Die EUStA ist für strafrechtliche Ermittlungen über gegen den EU-Haushalt gerichtete Straftaten und diesbezügliche Strafverfolgungsmaßnahmen zuständig. Die EUStA untersucht

  • Betrug im Zusammenhang mit Ausgaben und Einnahmen von EU-Geldern,
  • betrügerische Handlungen im Zusammenhang mit MwSt.-Abgaben, die mit zwei oder mehr Mitgliedstaaten verbunden sind und einen Gesamtschaden von mindestens 10 Mio. EUR verursachen,
  • Geldwäsche von Vermögen, das aus gegen den EU-Haushalt gerichteten Betrugsdelikten stammt,
  • Bestechung, Bestechlichkeit und Veruntreuung zum Nachteil der finanziellen Interessen der EU, sowie
  • die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, deren Handlungen sich vornehmlich auf die Begehung von Straftaten zum Nachteil des EU-Haushalts konzentrieren.

Obwohl die EUStA schon durch die Verordnung (EU) 2017/1939 vom 12. Oktober 2017 eingerichtet wurde, dauerte es mit der Aufnahme der Ermittlungstätigkeit bis zum heutigen Tag. Die EUStA kämpfte mit Startschwierigkeiten. Es hatte immer wieder Verzögerungen bei der Aufstellung und Abordnung der nationalen Staatsanwälte gegeben, die künftig für die EUStA arbeiten werden. Mindestens ein Staatsanwalt wird pro Mitgliedstaat zur Behörde mit Sitz in Luxemburg abgestellt. Für Deutschland ist der Rostocker Oberstaatsanwalt Andrés Ritter dabei - als einer von zwei Stellvertretern der Generalstaatsanwältin. Die eigentlichen Ermittlungen werden durch sog. delegierte Staatsanwälte (mind. zwei pro Mitgliedstaat) geführt, die weiterhin der nationalen Justiz zugeordnet sind, aber gleichzeitig weisungsunabhängig die Ermittlungen auf EU-Ebene leiten und mögliche Fälle vor den nationalen Gerichten ihres Mitgliedsstaats zur Anklage bringen sollen. Verhandelt wird weiterhin vor nationalen Gerichten in den Mitgliedsstaaten – einen europäischen Strafgerichtshof gibt es (noch) nicht.

Nach eigenen Angaben ist die EUStA die erste supranationale Staatsanwaltschaft, die befugt ist, grenzüberschreitende strafrechtliche Untersuchungen und Strafverfolgungsmaßnahmen durchzuführen. Die Ermittlungen werden unabhängig von der EU Kommission und anderen Organen und Einrichtungen der EU sowie den Mitgliedstaaten durchgeführt. Die Finanzierung kommt aus dem EU-Haushalt. Mit den bereits bestehenden EU-Stellen wie dem OLAF, Eurojust und Europol soll eng kooperiert werden, insbesondere um auch mit den Mitgliedsstaaten zusammenzuarbeiten, die sich (noch) nicht an der EUStA beteiligen.

Gegenwärtig nehmen 22 Mitgliedstaaten der EU im Wege der „verstärkten Zusammenarbeit“ an der EUStA teil. Ungarn, Polen, Irland, Dänemark und Schweden befürchten bislang zu große Souveränitätsverluste und sind nicht Teil der EUStA. Und selbst von den Mitgliedstaaten, die mitmachen, haben noch nicht alle ihre Staatsanwälte entsandt. Wie politisch brisant eine solche Entsendung mitunter sein kann, zeigt das Beispiel Slowenien. Hier führte die Ernennung bzw. Nichtnominierung der vorgesehenen Kandidaten zum Rücktritt der Justizministerin.

Die EUStA schätzt ihr jährliches Fallvolumen auf ca. 3000 Fälle. Eine Zahl, die angesichts der 1,8 Billionen Euro, die es im Rahmen des neuen EU-Haushalts und dem Corona-Wiederaufbaufonds (der allein 750 Milliarden Euro umfasst) zu verteilen gibt, durchaus noch ansteigen könnte. Ob das Budget und der Personalbestand der EUStA für diese Dimensionen ausreichen, wird von Kritikern skeptisch betrachtet.

Rechtsanwalt Johannes Lamsfuß